Shiatsu: Gabe oder Ware...?

 

Shiatsu: Gabe oder Ware...?

Shiatsu - Gabe oder Ware?
Eine Standortbestimmung von Ulrike Schmidt



Auf einem der letzten Treffen der GSD-anerkannten Schulen (2012) haben wir SchulleiterInnen uns über die Preise ausgetauscht, die wir von Klienten für eine Shiatsubehandlung nehmen. Was ist unser Markt-Wert für eine Shiatsubehandlung? Die Spanne unter uns SchulleiterInnen reichte von 40,- bis 95,- Euro. Ebenfalls auf diesem Treffen gab es ein Papier zur "Shiatsu-Gaben-Gemeinschaft", entwickelt, fortgeführt und zusammengefasst, von Toni Bünemann, Susanne Löhner-Jokisch und Wolfram Jokisch. Die Idee war ursprünglich die einer Shiatsu-Genossenschaft , die bei den GSD-Initiativtagen 2010 in Kassel entstanden ist.  In dem Papier über die ShiatsuGabengemeinschaft wurde auch erwähnt: Die Gabe von Lewis Hyde. Dieses lohnende Buch hat mich auch mit zu diesen Text inspiriert.

Ausgehend von diesen Ereignissen beschäftigten mich die Fragen: Wie setzt sich eigentlich der Markt-Wert von Shiatsu zusammen? Warum tun sich viele so schwer, (viel) Geld für ihre Behandlungen zu nehmen? Und: wie schaffe ich es als bodyworker den Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Großzügigkeit? Shiatsu steht in diesem Text selbstredend stellvertretend für alle Formen der Arbeit im Bereich der nichtkonventionellen Körperarbeitsmethoden.


Ich habe meine Shiatsuausbildung 1990 in Hamburg absolviert, an der Schule für Shiatsu Hamburg, der Schule der berührenden Künste. Ich fand diesen Untertitel stets sehr anregend: Shiatsu als Kunst! Und nicht nur eine Kunst, sondern mehrere Künste wurden dort vermittelt - was wohl noch alles? Da zog es mich hin. Kunst, das ist etwas Großes, etwas, das in einem selbst entsteht, etwas, das wiederum andere Menschen inspiriert.
 

Die Gabe
Wie das Wort Gabe schon nahelegt, drückt sich darin eine Begabung aus. Wir sind begabt oder wir sind es nicht. Gaben bekommt man, man hat sie, man kann sie vervollkommnen, aber man kann sie nicht kaufen. Ebenso wie ein Talent oder ein Genie. Der Genius beschreibt unsere Fähigkeit, unser Wesensmerkmal dessen, was uns ganz einzigartig macht auf dieser Welt. Das Talent, die Gabe, der Genius, all das liegt in uns, es wird uns quasi von einer höheren Instanz in die Wiege gelegt.

Artverwandt ist auch das Wort Gnade. Redewendungen machen deutlich, dass wir auch solche Gnaden nicht verdienen oder erwerben können, wie etwa: Er ist ein begnadeter Schauspieler, oder: Sie ist einen begnadete Sängerin. Auch der Akt einer juristischen Begnadigung macht deutlich, dass es darauf keinerlei Anspruch gibt. Gaben werden uns gegeben und wir haben sozusagen den unausgesprochenen Auftrag, sie weiter zu geben, sie in die Welt zu bringen, sie zu nutzen. In der Regel wird dadurch eine Gegengabe initiiert. In dem Modus von Gabe und Gegengabe entsteht dann eine Verbindung zwischen den Menschen: sie beziehen sich aufeinander und sind miteinander im Kontakt.

Gaben werden dem Wesen nach nicht verkauft. Eher verschenkt, getauscht oder allenfalls werden Spenden als Gegengabe akzeptiert. So haben Jesus und Buddha ihre heilenden Tätigkeiten nicht gegen Lohn ausgeführt. Wer eine Gabe hat, verkauft sie nicht, sondern müht sich darum, sie zirkulieren zu lassen, zum Wohle aller. Was uns ohne unser zutun gegeben ist, veräußern wir nicht. So verkaufen wir in der Regel weder unsere Organe, noch unsere Kinder. Selbst beim `Blut spenden´ gilt, dass das, was wir dafür als Gegengabe bekommen, kein Honorar ist.


Die Ware
Sie bezeichnet - im Gegenzug zur Gabe - ein Objekt oder eine Dienstleistung, die in der Regel gegen Geld veräußert wird. Indem wir bezahlen, entsteht ein Rechtsanspruch, eine Erwartung, ein Vertrag. Eine darüber hinausgehende Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer entsteht normalerweise nicht. Das Geschäft bleibt anonym, der Wert wird in Geld bemessen. Eine Dienstleistung können wir lernen, Lehrling, Geselle, Meister. Das ist der Weg des Handwerks. Waren werden beziehungsneutral gehandelt, versteigert, verkauft.
Der Wert der Waren ist dabei abhängig von Anzahl, Verknappung und Begehren, kurz Angebot und Nachfrage. Man denke an die Schwarzmarktgeschäfte nach dem 2. Weltkrieg. Neben echter Warenknappheit, zum Beispiel einer schlechten Ernte nach einem verregnetem Sommer, gibt es künstlich erzeugte Knappheiten, limitierte Sonderauflagen sind ein gutes Beispiel dafür. Die Werbung der modernen Marktwirtschaft hat es zudem geschafft, dass sie Begehrlichkeiten weckt, die die meisten Menschen dann mit Bedürfnissen verwechseln.


Spagat zwischen Gabe und Ware
Der Maler Vincent Van Gogh hatte mit seinem Bruder Theo die Abmachung, dass er ihn mit Bildern beliefert und Theo ihn im Gegenzug dafür Wohnung, Pinsel und Farben bezahlt. So sind dies die einzigen zu Lebzeiten veräußerten Bilder gewesen, die sein Bruder in Umlauf gebracht hat, nämlich die gegen Material getauschten Bilder. Bemerkenswerter Weise wurde 1990 sein Portrait des Dr. Gachet ein Jahrhundert nach seiner Entstehung für 82,5 Millionen Dollar versteigert. Welch ein Wertzuwachs! Van Gogh hat oft bis zu drei Bilder am Tag gemalt, daher kann man nicht wirklich von einer Verknappung sprechen, jedoch von außerordentlicher Einzigartigkeit. Ein Künstler ist meistens darauf angewiesen, aus seinen Gaben Waren zu machen, um sich so seinen Lebensunterhalt zu sichern. Oder, anders formuliert: mit Hilfe der ihm gegebenen Gaben bemüht er sich um eine Teilnahme an der Marktwirtschaft.

Während man also bei einer Gabe, einem Kunstwerk von Wertschätzung sprechen kann, können wir bei einer Ware von einem Wert sprechen. Letzterer wird durch Angebot, Nachfrage und Marktmanipulation bestimmt.
Kurz gesagt: Gaben werden verschenkt - Waren werden verkauft.


Shiatsu
Im Normalfall kann jeder Mensch Shiatsu lernen. Unsere angebotenen Ausbildungen sind so strukturiert, dass selbst gehandicapte Menschen sie durchlaufen können. Auch wenn wir Lehrkräfte sehr wohl erkennen können, dass es begabte und talentierte SchülerInnen gibt, so ist dies doch keinesfalls Voraussetzung für die Teilnahme. In der Regel genügt ein wie auch immer von Erfolg gekröntes Bemühen, ein Erkennen unserseits, dass sich die Menschen in einem Prozess befinden, den sie auch durchs Shiatsu lernen selbst fördern. Es gibt sehr wohl begnadete ShiatsuschülerInnen, aber wir haben kein Verfahren, dass diese Menschen z.B. auch mal einen Jahrgang überspringen können. Wir fördern und fordern so gut es geht, Einzelbetreuung wie in einem Schüler-Meister-Verhältnis ist weder gewollt noch praktisch machbar in unseren Ausbildungsstrukturen. An unserer Schule, der Berliner Schule für Zen Shiatsu, können sich Interessierte jetzt sogar online anmelden und damit vertraglich festlegen - ohne dass ich als Schulleiterin einen Vertrag gegenzeichnen muss. Nach einer anfänglichen "Oh-wie-praktisch Euphorie" bin ich doch etwas im Zweifel, ob ich das wirklich passend finde. Shiatsuausbildungen rücken damit einzig in den Bereich der Ware.


Shiatsu als Gabe
Verarmen wir nicht zusehends, wenn wir feste Preise für´s Shiatsu nehmen? Ja, natürlich, wir haben feste Ausgaben, Versicherungen, Miete, Steuern, Altersvorsorge, das sind nur wenige, aber wesentliche Kosten, die jeder Selbständige zu tragen hat. Von daher ermöglicht ein Marktwert doch erst, dass wir auch am Markt teilnehmen können - und nicht in einem anderen Job arbeiten und noch heute darauf warten, dass wir angemessene Gegenwerte bekommen für unser Shiatsu.

Doch gibt es auch Mischformen. Ich habe früher gerne getauscht, Shiatsu gegen Sockenstricken, Shiatsu gegen Lymphdrainage, Shiatsu gegen Shiatsu. Rückblickend war das vielleicht etwas kompliziert, aber doch sehr erfüllend, weil zwischenmenschliche Bindungen entstanden sind. Noch heute gibt es ja Tauschringe, in denen man auch Shiatsu tauschen kann, gegen Tapezieren oder Babysitting. Der Wert bemisst sich dass in Tälern oder Kreuzern und wird über ein Punktekonto verrechnet. So habe ich mich selbst zunächst auch schwer getan, überhaupt Geld zu nehmen (Studenten bezahlten bei mir 1990: 5 Mark, Verdiener 10 Mark.)

Früher - und das ist noch nicht allzu lange her - wurden übrigens Lehrer und Pfarrer in Naturalien bezahlt. Ein an sich stimmiger Ausdruck dessen, dass ihre Gaben per se nicht veräußerbar waren. Auch heute noch erhalten Berufsgruppen (z.B. Schriftsteller) die im weitesten Sinne sich mit Kunst erhalten, kein angemessenes Stundenhonorar. Ein Relikt dieser alten Tradition.


Shiatsu als Ware
In der Regel entsteht ein Vertrag zwischen uns Behandeln und dem Klienten. Ich stelle für eine Stunde meine Shiatsuerfahrung und Kompetenz zur Verfügung, allerdings ist dies ergebnisoffen. Wer als Kunde bei uns nicht zufrieden ist, hat keinen Geld-zurück-Anspruch, wie etwa beim Händler, der falsch geliefert hat, oder beim Friseur, der schief geschnitten hat. Unsere Dienstleistung besteht in dem Raum den wir zur Verfügung stellen, den Raum, den wir gemeinsam betreten, den Raum, indem wir uns begegnen.


Schlussbemerkung
Wer also nicht das Experiment wagen will, ein Sparschwein auf zu stellen (was einen übrigens nicht vor steuerlichen Konsequenzen schützt, indem man den Gegenwert einfach "Spende" nennt) ist heutzutage auf ein Honorar angewiesen. Es würde komisch wirken, wenn wir in dieser Gesellschaft, wo es üblich ist, Honorare zu zahlen, darauf verzichten würden. Wir machen es uns und den Klienten leichter, wenn wir uns an diese Konvention halten.

Dennoch ist es lohnend sich zu vergegenwärtigen, dass wir auch etwas, zumindest ein bisschen von der Gabe der Berührung in uns wohnt. Eine Shiatsubehandlung ist ein kleines Kunstwerk, inspiriert und beseelt den Menschen, schwingt nach und berührt tief. Vergessen wir das nicht.





Literaturhinweis:
Die Gabe von Lewis Hyde, S. Fischer Verlag 2008