Einfach nach Japan gehen
Ein Interview mit Karin Kalbantner-Wernicke von Ulrike Schmidt (2012)

 
Liebe Karin, Du gehörst noch zu der Generation Shiatsuschülern, die bei Namikoshi gelernt haben. Wie kam es dazu, dass Du in Japan gelebt hast?

Ja, ich habe meine Shiatsu-Ausbildung in der Schule von Namikoshi absolviert und zusätzlich bei Imai-sensei. Imai-sensei, der leider nicht mehr lebt, war in Japan ein sehr bekannter Akupunkteur und Shiatsu-Therapeut.
Japan hat mich schon immer fasziniert. Warum, kann ich eigentlich gar nicht sagen. Beflügelt durch Entwicklungen im Bereich der Körpertherapie Mitte der Siebziger habe ich eine Physiotherapie-Ausbildung durchlaufen. Leider haben sich dort die Zeitgeist-Entwicklungen nicht widergespiegelt. Also – auf nach Esalen in Kalifornien! Doch auch das war nicht das, was ich gesucht hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich durch einen englischen Freund einige Infos über Shiatsu bekommen, und das hatte mich sofort angesprochen. Da ich von der Schwäbischen Alb komme, wusste ich nicht, wie und wo ich zu Infos bezüglich Kurse kommen könnte. Da erschien es mir die sicherste Möglichkeit zu sein, einfach nach Japan zu gehen. Geplant waren drei Monate, doch dann kam alles anders und ich bin geblieben. Rückblickend bin ich selbst erstaunt über den Mut  - oder war es Naivität? - mit einem Rucksack loszuziehen ohne zu wissen, wo es eigentlich hingeht.


Das erinnert ein wenig an Janwillem van de Wetering, der als junger Mann mit einer winzigen Erbschaft in der Tasche nach Japan aufbrach, um in einem Zen-Kloster zu leben. Wie hast Du Dich finanziert in der Zeit in Japan?

Am Anfang mit Englisch- und Deutschunterricht. Mein Start war der „English Spoken Coffeshop“. Hauptsache man sah aus wie ein gaijin (einer, der von draußen kommt), da war nativespeaker nicht so wichtig. Da Japaner zwar Englisch in der Schule lernten, aber keinerlei Konversation, war diese Einrichtung dafür gedacht, Konversation mit Ausländern zu üben. Je einem Tisch war ein Ausländer zugeteilt und da konnten Japaner Platz nehmen, mussten sich eine ziemlich teure Tasse Kaffe bestellen und konnten dafür für eine gewisse Zeit Konversation üben. Es war die Aufgabe des ausländischen „Gastgebers“ alle Tischnachbarn in ein Gespräch zu verwickeln.
Später kam dann Deutsch-Unterricht für die Mitarbeiter eines in Deutschland tätigen Anwalt- und Notarbüros hinzu – wobei man hier eher von interkulturellem Training sprechen müsste – die jungen Juristen waren mehr daran interessiert, wie sie sich deutschen Frauen gegenüber benehmen sollten...
Als somit mein Auskommen fürs erste gesichert war, habe ich mich bei Imai-sensei beworben. Er hat mir dann angeboten, in seiner Fortbildungsakademie Unfallnachbehandlung (Krankengymnastik) und Bindegewebsmassage zu unterrichten. Dieses Konzept war so erfolgreich, dass diese Kurse während meiner gesamten Japanzeit stattfanden. Später habe ich dann als Shiatsu-Therapeutin in seiner Klinik gearbeitet.


Deine ursprüngliche Schule, das ISOM-Institut für Shiatsu und Orientalmedizin, hatte Zweigstellen in Nürnberg und in Florida- letzteres hört sich ebenfalls ziemlich exotisch an…

ISOM Florida war dem Humanities Center in St. Petersburg angeschlossen, eine Ausbildungsstätte für Massagetherapeuten. Da im Staat New York (und hierzu werden auch Abschlüsse in Florida gerechnet) mindestens 80 Stunden Shiatsu in der Massage-Ausbildung Pflicht waren, haben wir diesen Grundkurs unterrichtet und darauf aufbauend eine vollständige Shiatsu-Ausbildung. Nach dem Verkauf des Humanities Centers vor ein paar Jahren haben wir den Unterricht komplett an unsere amerikanischen Lehrer abgegeben. Das ISOM Nürnberg wurde von Susanne Löhner-Jokisch und Wolfram Jokisch gegründet. Beide hatten bei mir die Shiatsu-Ausbildung gemacht und später über mehrere Jahre hinweg hier am ISOM unterrichtet. So freut es mich natürlich ganz besonders, dass das ISOM Nürnberg sehr erfolgreich bis heute existiert.


Vor knapp 20 Jahren hast Du im Journal geschrieben: “Mein Interesse in Shiatsu liegt darin, traditionelle japanische Heilmethoden zu unterrichten und diese als Bestandteil einer Gesamttherapie innerhalb des westlichen Therapiekonzeptes weiterzugeben.“ Wie war die tatsächliche Entwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten, auch im Hinblick auf den Bachelor-Studiengang. Und was ist Dein individueller Beitrag daran?

Meine Güte, wo hast Du diesen Satz ausgegraben?! Diese Aussage gilt für mich nach wie vor. Mein ursprüngliches Anliegen, was für mich auch einen Grund für die Gründung der GSD ausmachte, war eine Anerkennung für Shiatsu in Deutschland zu bekommen. Nicht nur aus gesetzlicher Sicht, sondern auch in der Akzeptanz. 1990 wurden wir häufig noch mit Kampfsport gleichgesetzt. Um in der medizinischen Welt eine Anerkennung zu bekommen, brauchen wir Forschung. Durch unsere Zusammenarbeit mit japanischen Professoren und Universitäten, die Forschung zu diesem Thema betreiben und durch die Gründung des Bachelor-Studienganges hier in Deutschland sind dafür nun die Grundlagen geschaffen. Mit der entsprechenden Ausbildung können wir passende Studiendesigns schaffen, die der Methode Shiatsu gerecht werden und die Wahrnehmung von Shiatsu in der Fachwelt und der Öffentlichkeit verändern.
Ein erstes Beispiel: Wir beginnen Anfang 2012 mit 400 Schülern an verschiedenen Schulen eine Studie über die „Samurai-Massage.“ Das ist die Bezeichnung für einen speziellen Ablauf einer Shiatsu-Behandlung, den die Kinder gegenseitig durchführen.

Nur ist zwischenzeitlich noch eine andere Aufgabe hinzugekommen. Nachdem China die Politik verfolgt, die TCM als Marke weltweit zu etablieren, befürchte ich, was auch die allgemeine Stimmung in Japan widerspiegelt, dass die traditionelle japanische Medizin international an Gültigkeit und Bedeutung verlieren wird. Und sogar in ihrer Existenz bedroht sein könnte. In etlichen TCM-Zentren bieten bereits Chinesen Shiatsu an, was mit unserem Shiatsu wenig gemein hat. Mit unserem 1. Internationalen Kongress für traditionelle japanische Medizin und Kultur im vergangenen Oktober haben wir den traditionellen japanischen Behandlungsmethoden ein Forum geboten, um das Japanische dieser Methoden deutlich zu machen.


Du hast das ISOM vor Jahren abgegeben. Was lag der Entscheidung zu Grunde?

Seit vielen Jahren schlägt mein Herz für die Arbeit mit Babys und Kindern. Irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, diesen Weg konsequent zu gehen. Seitdem ist viel geforscht und erprobt worden. Gerade Baby-Shiatsu haben wir in vielen Kontexten erprobt und ständig weiterentwickelt. Ein Resultat davon war die Gründung von Funkelstern e.V. Unser Verein, mit dem wir ehrenamtlich Mütter und Babys/Kinder in schwierigen Lebenssituationen mit Shiatsu und Shonishin unterstützen. Neben unserem Einsatz in Mutter-Kind-Einrichtungen, Obdachlosen-Einrichtungen und Frauenhäusern, erweitern sich unsere Einsatzgebiete nächstes Jahr nochmals erheblich. Ein Ziel wird unter anderem sein, ein festes Domizil zu haben, das von der ganzen Familie und auch Vätern und Kindern genutzt werden kann.


Später hast Du das aceki Institut gegründet, Träger einer Fachakademie zur beruflichen Aus-und Weiterbildung. Verschiedene Begrifflichkeiten hast Du schützen lassen. Z.B: aceki Babyshiatsu ® und aceki Kindershiatsu ® Wie hat sich das/Dein aceki Shiatsu weiterentwickelt im Vergleich zu dem von Masunaga und von Ohashi, von dem Du ja auch ausgebildet wurdest?

Auch hier zunächst eine Klärung. aceki wurde von meinem Mann Thomas Wernicke, Renate Köchling-Dietrich, Karsten Dietrich und mir gegründet. Wir saßen zusammen in Kyoto in der Nähe des berühmten Zen-Gartens beim Kaffee und da entstand die Idee, oder sollte man sagen Eingebung?, aceki zu gründen. Eine Idee, die in so einer Umgebung entsteht, kann eigentlich nur erfolgreich werden – wie im Nachhinein sich herausstellte.
Ursprünglich war die Hauptaufgabe von aceki, die Behandlungs-Methoden für Kinder zu erforschen, weiter zu entwickeln, in der Praxis zu erproben und als Konsequenz zu unterrichten. Das geschah und geschieht in enger Zusammenarbeit mit Japan. Hierzu zählen die japanische Kinderakupunktur Shonishin und Shiatsu und spezielle Techniken aus dem Sotai. Da hier eine ständige Weiterentwicklung stattfindet, haben wir die Arbeit geschützt, um hohe Qualitätsstandards zu halten und um sicher zu stellen, dass nur spezielle für Baby und Kinder ausgebildete Shiatsupraktiker mit dieser inzwischen sehr anerkannten Methode arbeiten.


In unserer gemeinsamen Zeit im Vorstand warst Du - gemeinsam mit Renate Köchling-Dietrich - sehr engagiert, Shiatsu auch auf Bundesebene zu „etablieren“. Erinnere ich das richtig, dass wir im Grunde im Wust der Behörden gescheitert sind, verstrickt zwischen Zuständigkeiten, fehlenden Ansprechpartnern, mangelnder Lobby und vor allem auch an unserer (GSD)-eigenen Unklarheit: ist Shiatsu nun Heilmethode oder nicht? Wie erinnerst Du die politischste aller Vorstandsphasen?

In der Zwischenzeit ist soviel passiert, dass hier leider meine Erinnerungen auch etwas verschwommen sind. In meiner Erinnerung steht die, wie Du es nennst, GSD-eigene Unklarheit im Vordergrund. Es gab das Heilpraktikerlager, dann das Lager, das keinerlei Regelungen für notwendig erachtete und einige, die sich irgendwo dazwischen bewegt haben. Und uns, die wir versucht haben, auf allen möglichen und eventuell auch unmöglichen Arten eine Form der Anerkennung zu bekommen.
Mit Schrecken erinnere ich mich noch an den Widerstand, den ich erleben musste während einer Mitgliederversammlung, bei der wir unseren eventuellen Lobbyisten Herrn Helmes vorgestellt haben. Sicherlich ist Shiatsu und Lobbyismus gewöhnungsbedürftig, aber er hätte uns damals den Weg, ähnlich wie in Österreich, über die Industrie- und Handelskammer, die IHK geebnet.
Oder der Zeitpunkt, als ich erstmals die Idee eines Studienganges zur Sprache brachte. Auch diese Idee wurde leider nicht weiter verfolgt, da klar war, dass das mit großen Kosten verbunden sein würde. Das Ergebnis aus allem Suchen war dann das Konzept der verschiedenen Arbeitsfelder, in denen Shiatsu zum Einsatz kommen kann und damit das Bestreben, Shiatsu in seiner ganzen Vielfältigkeit gerecht zu werden.


Wenn Du zurückschaust auf die GSD-Jahre, auf Deine Mitarbeit im Vorstand, gibt es etwas auf das Du stolz bist?

Wir waren eine handvoll begeisterter Shiatsu-Praktiker, die damals die GSD gegründet hatten. Und heute ist eine anerkannte Gesellschaft mit vielen Mitgliedern daraus geworden – ich finde, darauf können wir alle gemeinsam stolz sein!


Ist etwas unerledigt geblieben? Haben wir - als GSD - auch etwas versäumt?

Immer wieder erlebe ich bei meiner Tätigkeit in Einrichtungen, Schulen oder im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit, dass Shiatsu nicht denselben guten Ruf genießt wie manch andere Methoden, die mittlerweile sehr etabliert sind. Oder sogar, dass Shiatsu überhaupt nicht bekannt ist. Gerade musste ich an einer Schule, die für alle Klassen die Samurai-Massage einführen will, erleben, dass sich eine sehr christliche Lehrerin weigerte, diese „esoterischen Sachen“ mit ihren Schülern durchzuführen. Hier stellt sich die Frage, wie seitens des Berufverbandes mehr Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden kann.


Was wünscht Du Dir für die Shiatsu-Bewegung im nächsten Jahrzehnt?

Dass Shiatsu die Anerkennung findet, die wir uns alle wünschen, und dass Shiatsu-Praktiker hauptberuflich von ihrer Tätigkeit gut leben können.


Liebe Karin, vielen Dank für das Interview!

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