Die Geburt einer Krankheit

 

Die Geburt einer Krankheit

Jörg Blech über die Definition von Krankheiten
"Die Medizin ist soweit fortgeschritten, daß niemand mehr gesund ist".
Mit diesem Zitat von Aldous Huxley beginnt das Buch.
Damit ist im Grunde alles gesagt. Wer mehr dazu erfahren möchte, dem sei diese Lektüre von Jörg Blech empfohlen. Er stellt damit eine gut fundierte Recherche vor, die die Verpflechtungen zwischen Pharmaindustrie, Ärzten und Krankheitsbildern aufzeigt, hinterfragt und erläutert.

Das marktwirtschaftliche Prinzip funktioniert, vereinfacht dargestellt, folgendermaßen: ein Pharmakonzern hat einen neuen Wirkstoff entdeckt und hergestellt. Jedoch sind die Entwicklungs- und Herstellungskosten für ein Medikament, das sich lediglich an der Zielgruppe der tatsächlich Betroffenen orientiert, meist nicht rentabel. Eine neue Zielgruppe wird sozusagen definiert durch die "Krankheitserfinder". Mit Hilfe von gesponserten Arztkongressen, Forschungsstudien, Fachartikeln und Werbekampagnen wird ein Krankheitsbild regelrecht erfunden und in den Fachmedien und in der Öffentlichkeit vorgestellt.

Für die "Erfindung" von Krankheiten bedient sich die Pharmaindustrie verschiedenster Methoden. Die geläufigsten davon sind:
-die Veränderung von Grenzwerten: was z.B. noch vor wenigen Jahrzehnten im Bereich der Cholesterin- und Blutdruckwerte für "gesund" galt, gilt heute per Definition als behandlungsbedürftige Krankheit.
-die Ermittlung von Durchschnittswerten an jungen und gesunden Probanden. Diese Mittelwerte werden sodann für ältere Jahrgänge als Maßstab übernommen. Abweichungen gegenüber der Norm der Jüngeren werden als Krankheiten definiert. Vergleiche mit gleichaltrigen Gesunden werden nicht herangezogen.
-Natürliche Zustände und Vorgänge, wie zum Beispiel die Wechseljahre der Frau (neuerdings auch die des Mannes), werden zu Krankheiten umgedichtet und dadurch als solche stigmatisiert

So entstehen neue Gruppen von Patienten: die gesunden Kranken und die noch nicht Kranken. Und entsprechend neue Absatzmärkte.

Leidtragende sind oftmals die (angeblichen) Patienten und die damit einhergehende Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Überdurchschnittliche Wachstumsraten von Pharmakonzernen sichern ihnen dank der Zunahme von Krankheitsbildern und Patienten auch in wirtschaftlich stagnierenden Zeiten einen Aufschwung.

Jörg Blech: Die Krankheitserfinder. Wie wir zu Patienten gemacht werden.
S. Fischer Verlag, 255 Seiten, EUR 17,90
Ulrike Schmidt