Wir machen einfach `Fish-Bowl´...
Eine Liebeserklärung an Wolfram Jokisch von Ulrike Schmidt (2012)


Lieber Wolfram,

aufgefallen bist Du mir zum ersten Mal auf einer dieser Mitgliederversammlungen, die oft nervtötend langweilig waren. Tops wurden abgearbeitet, Haushaltspläne vorgestellt, Berichte der Kassenprüfer verlesen, über Satzungsänderungen abgestimmt. All dies schien für uns Mitglieder, wenn überhaupt, dann nur unwesentliche Bedeutung zu haben. Spannender, weil lebendiger waren da schon Neuwahlen. Oder wenn es einmal fetzig herging, weil Mitglieder ihren Unmut äußersten. So auch auf dieser einen Versammlung, die sicher fünfzehn Jahre zurückliegt. Ein Mitglied wetterte - stehend - und ungehalten gegen einen Missstand. Das ganze hörte sich so persönlich an, ja, geradezu gegen Dich als Vertreter der GSD gerichtet - mir stockte der Atem. Das war doch ungeheuerlich! Und was hast Du getan? Du hast ganz ruhig zugehört, dann mit anderen Worten den Inhalt dieser Aussage zusammengefasst und Dir eine Notiz dazu gemacht… Ich war sprachlos, ja fassungslos. Das Mitglied schien zufrieden, setzte sich wieder, es kam zu keiner Keilerei… Was war nur passiert, was hast Du da gemacht? Du hast nicht diskutiert, Deinen oder den GSD-Standpunkt nicht verteidigt, Du standest einfach über den - emotional aufgeladenen - Dingen, hast Dein Gegenüber ernst genommen und den Inhalt zurückgespiegelt. Und wie immer das geht, das wollte ich auch lernen: souverän auf jemanden mit einer gänzlich anderen, ja sogar verletzenden Meinung, reagieren können.

Ab diesem Moment hast Du für mich erst Gestalt angenommen. Aus Deinem Name wurde für mich eine Person. Aus Deiner Funktion schälte sich ein Mensch mit Fähigkeiten heraus. Und vor allem die Erkenntnis, ja, da sitzt jemand auf dem richtigen Posten, keiner, der so tat, als wäre er der 1. Vorsitzende der GSD, sondern jemand, der es war! Und ab da habe ich Dich aus angemessener Distanz bewundert.

Im Mai 2008 war für Dich zunächst Schluss mit der Vorstandsarbeit. Für mich selbst war der Beginn 2001. Wohlüberlegt, aber dennoch ahnungslos kandidierte ich. Prompt wurde ich gewählt. Mein erstes großes Vorhaben war dann die Organisation von dem 10-jährigen Jubiläum der GSD, der Shiatsukongress in Berlin 2002. Auch da hatte ich eine unvergessene Begegnung mit Dir, bei den Vorbereiten der `großen Diskussionsrunde´ bliebt Du völlig ruhig - wir machen einfach `Fish-Bowl´, sagtest Du. Aha, dachte ich. Konnte mir jedoch nicht so recht etwas dadrunter vorstellen. Es war eine Art offener Diskussionsrunde, die sich aus eingeladenen Gästen und wechselnden Teilnehmern aus dem Publikum zusammensetzte. Du hast die Runde moderiert. Noch dazu, wie es mir schien, aus dem Handgelenk, aus dem ff, einfach so - ganz entspannt. Und es funktionierte. Perfekt!

Im Winter 2002/2003 waren wir mit dem amtierenden GSD-Vorstand in einer Krisensituation angelangt, in der wir praktisch nicht mehr arbeitsfähig waren. Du warst auf Nachfrage bereit, mit uns im "Waldschlösschen", unserem Tagungsort, ein Coaching zu machen und uns zu helfen wieder ins Gespräch zu kommen. Dies klärte immerhin die Situation so weit, dass klar wurde, wir brauchen 2003 in Hamburg Neuwahlen. Die große Überraschung und auch noch größere Erleichterung war, dass Du dann für dieses Ehrenamt erneut kandidiert hast. Obwohl Du keine Shiatsuschule mehr hattest (Susanne und Du, Ihr hattet zwischenzeitlich Eurer ISOM-Institut abgegeben), keine Shiatsupraxis und zudem Susanne Dich öffentlich, kurz vor der Wahl daran `erinnerte´, dass Du auch noch eine Familie hast - mit drei von Deinen vier Kindern im gemeinsamen Haushalt - ein starkes Statement war das übrigens! Mir war nie ganz klar, was wirklich Dein Motiv war, nochmals zu kandidieren. Ich vermute, Du wusstest, dass Du der Beste für diesen Posten warst, womöglich sogar der Einzige, der die GSD in der jetzigen Situation angemessen weiterführen konntest. Wir anderen Vorstandsmitglieder waren sehr froh und zumindest die Mitglieder, die die Situation verfolgt hatten, ebenso.

Es folgten neun gemeinsame Jahre der Zusammenarbeit im Vorstand der GSD. Ich lernte Deine Bescheidenheit kennen (3-er Zimmer mit den anderen zwei Männern!), Dein Engagement (`kreatives´ frühes Aufstehen wenn wir anderen noch schliefen), Deine Art, Projekte anzugehen (erst das ZIEL, dann der WEG!) Ich sah Deine Weise, wie Du Bücher zerlesen hast (voller Eselsohren und -öhrchen und geheimnisvoller Knicktechniken), ich wurde inspiriert durch Deine Sinnier-Karten, angeregt durch Deinen Arbeitsstil (pochen auf Einhaltung von Zugesagtem) und begeisterte mich über Deine Fähigkeit, Konflikte anzusprechen und anzugehen. Du konntest auf nette Weise ungemütlich werden und wenn´s brannte, warst Du immer zur Stelle. Ich hatte manchmal den Eindruck, all das ganz Wichtiges und auch das Unangenehme blieb an Dir hängen. Du hast versucht, uns beizubringen, wie Gremienarbeit funktioniert, was es bedeutet, ein Ressort zu führen und machmal auch, wie man sich auf eine Sitzung vorbereitet.  

Alles stets und nicht zu vergessen im Ehrenamt. Das hat für Dich etwas fünf bis sechs Arbeitswochen im Jahr ausgemacht. Und nur weil Du woanders viel verdient hast, warst Du überhaupt in der Lage, diese Zeit für und mit der GSD zu verbringen. Du hast nie gezögert, Dein Wissen und Deine Erfahrungen in unsere Runde einzubringen, der GSD zur Verfügung zu stellen.

Lieber Wolfram, Danke!