Interview mit Diego Sanchez von Ulrike Schmidt (2015)
übersetzt von Anne Frederiksen
Lieber Diego,
Du wurdest in Uruguay geboren und hast in verschiedenen europäischen Ländern gelebt. Es heißt, Du hättest früher als Model gearbeitet.
Ja, so ist es. Ich wurde in Uruguay geboren und bin dort aufgewachsen – und ich fühle mich sehr uruguayisch. Als ich 19 war, habe ich als Rucksacktourist ein Jahr Europa bereist und dann noch einmal mit 23, um als Mode-Model für die meisten international bekannten Marken und Designer zu arbeiten. Ich habe 17 Jahre lang im Ausland gelebt (Madrid, Mailand, Paris, London, New York City). Dank der Entdeckung von Shiatsu wurde mir klar, dass ich zurückgehen sollte, um in Uruguay zu leben. Und das tue ich jetzt, und hier genieße ich das Leben mit meiner Familie und meinen beiden hübschen Töchtern.
Wie hat Shiatsu Dich gefunden…?
Bei einem der Model-Jobs für eine deutsche Firma traf ich auf eine Maskenbildnerin, die Shiatsu studierte. Sie musste für ihre Ausbildung praktizieren und fragte mich, ob sie meinen Rücken behandeln könnte, während wir für das Fotoshootig auf das richtige Licht warteten. Sie hieß Ulli, und ich bin ihr auf ewig dankbar, denn sie hat mein Leben total verändert. Als ich mich vom Boden erhob, merkte ich, dass ich mich nie zuvor in meinem Leben so wohl gefühlt hatte. Ich war richtig traurig, dass ich dieses sensationell gute Gefühl erst zu einem so späten Zeitpunkt kennenlernte. Das weckte meine Neugierde. Ich wollte wissen, wie es möglich war, dass eine menschliche Berührung so effektiv sein konnte. Und jetzt, 25 Jahre später, ist Shiatsu für mich eine große Erfüllung, nachdem ich allmählich alle Möglichkeiten des Heilungspotentials von Shiatsu kennen gelernt habe.
Und was ist für Dich an Shiatsu so faszinierend geblieben?
Dass alles andere, was ich gelernt habe, nachdem ich Shiatsu kennen gelernt hatte, so perfekt mit dem Shiatsu-Modell von Gesundheit zusammen passt – sowohl in der Theorie als auch in der Praxis.
Welcher Shiatsulehrer, welche Shiatsulehrerin hat Dich am meisten beeinflusst?
Ich schätze mich sehr glücklich, dass ich um 1995 herum am Shiatsu College in London mit den dortigen Lehrern, Assistenten und Mitstudenten studieren konnte. Einige der begabten Lehrer damals, wie beispielsweise Carola Beresford-Cooke, Paul Lundberg, Cliff Andrews, Nick Pole, Nicola Pooley, unterrichteten manchmal Dinge, die mich wirklich gepackt haben. Wenn ich dann fragte, wo sie das gelernt hatten, sagten alle – bei Pauline Sasaki. Nachdem ich meine Ausbildung in London beendet hatte, zog ich nach New York City und studierte mit Pauline. Ich blieb 7 Jahre und absorbierte so viel ich nur konnte von ihrer Weisheit und ihrer großherzigen Art zu unterrichten. Ich fühle mich einfach reich beschenkt, dass ich eine der bedeutsamsten Zeiten meines Lebens als ihr Student und Freund genießen konnte.
Du hast den Film "The Human Potential" gedreht – einen Film mit Pauline Sasaki über ihre Arbeit, insbesondere über das multidimensionale Shiatsu. Wie kam es zu diesem Projekt?
Pauline wollte seit Jahren ein Buch schreiben, kam aber nie dazu. Das war frustrierend für sie. Als ihr Student fühlte ich den Drang und die Verpflichtung, ihren Unterricht in ihren eigenen Worten zu bewahren. Ich schlug also vor, Interviews mit ihr, ihren Klienten und Studenten zu filmen. Ich habe das ein Jahr oder länger gemacht. Dann fand sie, dass es wirklich gut wäre, wenn sie ihr Wissen weiter geben würde. Sie kam als Produzentin mit ins Boot und schrieb ein erstes Skript, wie sie die Information präsentiert wissen wollte. Damit haben wir eine Weile gearbeitet und dann neue Aufnahmen in ihrem Haus in Connecticut, in New York City und an anderen Plätzen gemacht. Sie kam nach Uruguay, um neues Material zu filmen und mir zu helfen, 3D Bilder des energetischen Feldes, so wie sie es sah, zu produzieren. Wir machten die Tonaufnahmen und beaufsichtigten zusammen die Produktion der Originalmusik. Wir haben drei Jahre an dieser Dokumentation gearbeitet. Natürlich hatten wir währenddessen auch Meinungsverschiedenheiten. Schließlich aber war sie mit dem Ergebnis zufrieden, und ich war es auch. Ich glaube, es ist bis heute das einzige aufgezeichnete Zeugnis ihres Vermächtnisses in ihren eigenen Worten.
Du bist bekannt dafür, Shiatsu in Krankenhäusern, besonders mit schwerkranken Patienten, zu praktizieren (Krebs, Organtransplantationen und schwere Traumata). Nach dem 11. September in New York hast Du den Helfern, Feuerwehrleuten und Betroffenen Shiatsu gegeben. Warst Du zufällig dort – oder hing das mit Deiner Arbeit in den Krankenhäusern zusammen?
Ich hatte versucht, in einem Krankenhaus zu arbeiten, aber ich benötigte eine Zulassung für den Staat New York. Deshalb musste ich, obwohl ich meine Shiatsu-Ausbildung in England abgeschlossen hatte, in New York noch einmal von vorn anfangen. Durch die Schule gelang es mir dann, zum Ground Zero zu kommen. Ich hatte es vorher anders versucht, aber es war unmöglich. Seit 1998 hatte ich als Freiwilliger in Hospizen und mit AIDS-Klienten gearbeitet, somit hatte ich zur Zeit von 9/11 bereits ausreichend Erfahrung mit Situationen, in denen es um Leben oder Tod ging. Ich glaube, man ist niemals wirklich reif für so eine Situation, aber als es so weit war, hatte ich keine Zweifel mehr.
In Deutschland scheint es fast unmöglich, bei einer Katastrophe zu erscheinen und zu sagen: hey, hier bin ich, ich mache Shiatsu. Es würde zunächst ein ellenlanger bürokratischen Akt nötig sein: Zuständigkeiten, Bedenken, Versicherungen, Kompetenzprüfungen, Verantwortlichkeiten. Aktuell haben wir als Land sehr viele Flüchtlinge aufzunehmen. Vermutlich sind die meisten von ihnen durch die Flucht traumatisiert – Shiatsu wäre eine großartige Unterstützung. Einfach so, von mir zu Dir…
Man benötigt eigentlich nichts, um zu berühren. Die meisten Hindernisse liegen in uns selber. Ich bin sicher, dass man ganz schnell und ohne große Hindernisse zu diesen Flüchtlingen gelangen kann. Ganz sicher brauchen sie diese Art von Unterstützung.
Im Hospiz hast Du mehr als 6 Jahre als Freiwilliger Shiatsu mit Krebs-, HIV- und AIDS-Patienten praktiziert. Für wie wichtig hältst Du es für unsere Entwicklung, dass wir unsere Fähigkeiten auch unentgeltlich zur Verfügung stellen?
Mangels einer Shiatsu-Universität funktioniert Freiwilligenarbeit genauso gut. Dann, mit hundert oder tausend Sitzungen „in der Tasche“, kannst Du voll Vertrauen verlangen, was Du willst.
Am ersten Kurstag ist das wirklich spannende Thema das Wurzelchakra und unsere Erdung unter Einbeziehung der Dickdarmenergie. Was erwartet die Teilnehmer?
Der Dickdarm-Meridian kommt in der Hara-Diagnose am häufigsten vor, wenn es um Leben oder Tod geht (Operation, Panik- und Angst-Attacken, Krankheiten im Endstadium, Situationen, die mit Gewalt zu tun haben, Exil, finanzielle Krisen, Verlust eines geliebten Menschen, Naturkatastrophen, Flucht, territoriale Konflikte usw.). Da das Wurzelchakra (das den Dickdarm steuert) für das „Existenzrecht“ steht, wird es auch aktiviert, wenn es ums Überleben geht. Sich zu erden bedeutet, sich mit der Erdenergie zu verbinden, um unsere Wurzeln zu heilen, um unser Existenzrecht zu bekräftigen und unseren Platz in der Welt zu finden. Ich finde, es ist eines der wirkungsvollsten Mittel, um in dieser unserer Zeit unser Gleichgewicht zu finden.
Können auch Menschen mit geringen oder gar keinen Shiatsu-Vorkenntnisse daran teilnehmen?
Ich habe eine Zeit lang nur Shiatsu-Praktiker und Fortgeschrittene unterrichtet. Jetzt sind meine Klassen für alle offen, da ich die meisten meiner Unterrichtstechniken universell verständlich gemacht habe. Ich finde zudem, dass die Öffentlichkeit und die Therapeuten oder Praktiker aus anderen Disziplinen jetzt viel mehr verstehen, was wir machen. Was geheim und nur für ein paar Auserwählte war, ist jetzt durch das Internet öffentlich. Jeder wird auf seinem ihm eigenen Niveau lernen.
Herzlichen Dank für das Interview!
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